Dienstag, 30. Mai 2006

Jane Flax: Der Skandal des Begehrens

Jane Flax. Der Skandal des Begehrens: Psychoanalyse und Geschlechterbrüche - Gedanken zu Sigmund Freuds Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie. In: Eva Waniek, Sylvia Stoller (HG.). Verhandlungen des Geschlechts. Zur Konstruktivismusdebatte in der Gender-Theorie. Wien, 2001.

Jane Flax befasst sich mit dem "Skandal des Begehrens" in Freuds Werk, genauer: in seinen Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie. Sie nennt dabei acht Manifestationen des Skandals, die allerdings nicht alle komplett unabhängig voneinander sind. Im Folgenden ein sehr kurzer Überblick:
  1. Körpergebundenheit der Menschen: Durch Freuds Ausführungen wird klar, dass Menschen sich ihrer Körperlichkeit nicht entziehen können. Gleichzeitig wird durch das Begehren, das an der Grenze zwischen dem Psychischen und dem Somatischen verortet ist, die Trennung von Körper und Geist aufgehoben. Im Unterschied zum Hunger, der eine existentielle Notwendigkeit ist und sich ausschliesslich physisch befriedigen lässt, "schliesst [das Begehren] auch mentale Repräsentationen seines Wunsches und Objektes, mit ein", "geht hartnäckig über das Nützliche hinaus". (S. 63)
  2. Die Unfähigkeit der (Natur-)Wissenschaft, das Begehren zu untersuchen: Da das Begehren sich nicht auf das Physische beschränkt, ist die Naturwissenschaft mit ihrem Fokus auf organische und chemische Vorgänge und ihrem Materialismus nicht in der Lage, das Begehren zu untersuchen. Aus diesem Grund ist eine neue Wissenschaft erforderlich, die Psychoanalyse, die eine Grenzwissenschaft zwischen Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften darstellt. (Nebenbemerkung: Es ist interessant, dass mit der momentan boomenden Neuropsychologischen Forschung die Psychoanalyse zunehmend auf die Seite der Naturwissenschaften gezogen wird. Mit dem angeblichen "Beweis" der Psychoanalyse durch die Messung von Hirnströmungen wird die Psychoanalyse von den Naturwissenschaften legitimisiert, verliert so aber gleichzeitig ihren Bezug zu den Geisteswissenschaften.)
  3. Vermischung von "normal" und "abweichend": Normalität wird als soziale Konvention entlarvt und verliert damit ihren Wahrheitsanspruch.
  4. Verkörperung der Erkenntnis: Nicht nur der Mensch ist körpergebunden. Dadurch dass alle wissenschaftlichen Erkenntnisse ihre Wurzeln im Begehren haben, wird auch das wissenschaftliche Subjekt mitsamt seiner Produkte und aller Formen der Erkenntnis verkörpert.
  5. Untergrabung der Grenzlinie zwischen Natur und Kultur: Wie bei der Aufhebung der Grenzziehung zwischen normal und abweichend, wird auch die Grenzlinie zwischen Natur und Kultur, zwischen zivilisiert und unzivilisiert von der Psychoanalyse untergraben.
  6. Unterwanderung der gewöhlichen Vorstellung von Sexualität in Bezug auf Objekt, Vorliebe, Ziel und Zweck.
  7. Ablehnung der Geschlechtskonstruktion als einer binären Struktur von zwei sich ausschliessenden Gegensätzen.
  8. Rasse: Als letzte Manifestation des Skandals des Begehrens nennt Flax das Fehlen der Auseinandersetzung der Psychoanalyse mit Rasse. (Anmerkung: Dieser letzte Punkt ist von grundlegend anderer Natur als die vorherigen, da es sich nicht um etwas handelt, das die Psychoanalyse aufdeckt, sondern vielmehr um eine Kritik an der Psychoanalyse.)
Im zweiten Teil des Textes werden vor allem die Punkte 6 und 7 weiter ausgeführt. Ich möchte nur noch kurz einen Widerspruch bei Freud erwähnen. Während Freud einerseits die Vorstellung einer reinen Männlichkeit, resp. einer reinen Weiblichkeit verwirft, weist andererseits Flax darauf hin, dass "Freuds Prototyp eines begehrenden Subjekts männlich" ist (S. 73).

Was ich ausserdem interessant fand, war eine These die Flax im Hinblick auf sexuelle Identitäten formuliert:

[A]ngesichts der Labilität und der Zufälligkeit der Objektwahl hätte sich Freud gegen die gegenwärtige Tendenz gestellt, Identität durch die Objektwahl zu definieren oder zu stabilisieren. Er glaubte nicht, dass das Geschlecht unseres Sexualpartners bestimmend dafür ist, wer wir sind. (S. 71)

(Wobei ich hier spitzfindigerweise noch anfügen möchte, dass das Geschlecht eines Sexualpartners natürlich immer männlich ist ;-) ).

Psychoanalyse

Da ich ja nicht die einzige bin, die sich dieses Semester mit Psychoanalyse beschäftigt, habe ich beschlossen zu versuchen zu einigen Texten einige Gedanken aus dem äusserst spannenden Seminar bei Sabine Hark blogmässig festzuhalten. Vielleicht liest ja die eine oder andere Blogleserin die gleichen oder ähnliche Texte?
Ich werde in jedem Beitrag zuerst die vollständige Literaturangabe aufschreiben. Worauf ich nicht separat eingehen werde sind Freuds "Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie". Ich gehe aber davon aus, dass ihr die alle kennt.

Dienstag, 11. April 2006

Der space-off

Hier nun noch ein Versuch der Annäherung an den Begriff space-off.

Lauretis entleiht den Begriff space-off der Filmtheorie und definiert ihn als den "Raum, der innerhalb des Einzelbildes nicht sichtbar ist, aber aus dem ableitbar ist, was das Bild zeigt." (S. 88) Ich stelle mir darunter den Ort der Handlung vor, von dem wir im Film jeweils nur einen kleinen Ausschnitt zu sehen bekommen: der Teil des Raumes, der nicht abgebildet wird, stellt den space-off dar. Lauretis hält fest, dass der space-off auch die Kamera und den Zuschauer umfasst (S. 89).

Bezogen auf Geschlecht unterscheidet Lauretis zwischen dem "diskursiven Raum der Positionen, die der hegemoniale Diskurs zugänglich macht" und dem space-off, den diskursiven und sozialen Räumen die durch die feministische Praxis "an den Rändern des hegemonialen Diskurses und den Zwischenräumen der Institutionen, in Form der Gegenpraxis und neuen Formen von Gemeinschaft errichtet" wurde (S. 89). Das Subjekt des Feminismus sei die "Bewegung vorwärts und rückwärts zwischen der Repräsentation des Geschlechts [...] und dem, was diese Repräsentation [...] unrepräsentierbar macht", also die Bewegung zwischen dem Raum der Positionen, die der hegemoniale Diskurs zugänglich macht, und dem space-off.

Da mir diese Beschreibungen noch etwas zu abstrakt waren, habe ich nachgelesen, wie Engel den space-off bei Lauretis rezipiert. Sie beschreibt den space-off als "das Ungesagte und Unsagbare, die 'Blinden Flecken' und Zwischenräume des Diskurses", etwas, das sich "innerhalb des Diskurses aber ausserhalb der Repräsentation" befindet (WdE, S. 37). Die letzte Formulierung ist für mich die griffigste. Ich habe mich gefragt, was für ein konkretes Beispiel genannt werden könnte für etwas, das innerhalb des Diskurses aber ausserhalb der Repräsentation liegt und bin auf die Intersexualität gekommen: Während Intersexualität durchaus benannt werden kann, ganze Vorlesungen, Bücher oder Fernsehsendungen sich darum drehen, ist sie doch noch immer nicht repräsentierbar. Intersexualität ist nicht lebbar, weder amtlich, noch in sozialen und/oder kulturellen Praktiken. Insofern erscheint mir Intersexualität als ein geeignetes Beispiel für einen space-off.
Was meint ihr?

Bleibt die Frage, worin das Potential des space-off besteht. Hierzu ein Zitat von Engel: "[...] die Frage, was im hegemonialen Feld nicht repräsentierbar ist, was unsagbar und unsichtbar bleibt, [wird] nicht zur Grenze, sondern zum Anlass repräsentationspolitischer Praktiken. Die entscheidende Möglichkeit, sich ausserhalb hegemonialer Diskurse zu plazieren, liegt demnach darin, sich innerhalb dieser Diskurse zu de-plazieren, sie zu nutzen, sogar zu zitieren, um ihre Fragen zu unterlaufen und ihre Antworten miss-zuverstehen." (WdE, S. 37) In einer Fussnote verweist sie hier auch auf Irigaray (1980, S. 181): "Auch auf jenen weissen Stellen in Diskurs bewusst zu insistieren, die an die Orte ihres Ausschlusses erinnern, die in ihrer schweigenden Plastizität den Zusammenhang, die Verknüpfung und die kohärente Ausdehnung des Diskurses sichern." Ausserdem verweist Engel auch auf "The Practice of Love" (1994), in dem Lauretis "ihre Theorie lesbischer Sexualität und Subjektivität entlang konkreter Beispiele feministischer Filmtheorie und lesbisch-subkultureller Independent Film-Produktion" entwickelt.
Ich fasse das alles für mich vereinfacht so zusammen, dass Praktiken entwickelt werden sollen, die den space-off, das, was ausgeblendet wird, benennen und repräsentieren und so die Aufmerksamkeit auf seine Ausblendung lenken.
Klingt das plausibel?

Weil's ja fast zu schön wäre, wenn das alles so aufginge, noch eine letzte Bemerkung. Ich habe den Eindruck, dass der space-off von Lauretis und Engel in einem Punkt unterschiedlich verstanden wird: Lauretis spricht, wie oben zitiert, davon, dass der space-off durch die feministische Praxis in Form der Gegenpraxis und neuen Formen von Gemeinschaft errichtet wurde. Er ist somit die Praxis, die Repräsentation und also etwas durch den Feminismus (und nicht die Hegemonie) Hergestelltes. Demgegenüber beschreibt Engel den space-off als etwas von vornherein Dagewesenes, das wohl in gewisser Weise gleichzeitig mit dem hegemonialen Diskurs entsteht: Er besteht aus allem, was nicht Teil der (hegemonialen) Repräsentation ist, aber dennoch innerhalb des Diskurses liegt. Die Rolle der (Gegen-)Praktiken besteht dann nicht darin, den space-off zu erschaffen, sondern ihn aufzuspüren, zu benennen und sichtbar zu machen.

Montag, 27. März 2006

Organisatorisches

Ich habe nun meine Gedanken zu einem ersten Text, Technologie des Geschlechts von Teresa de Lauretis, gepostet. Um die Sache einigermassen übersichtlich zu halten, insbesondere was die mit Spannung erwarteten Kommentare betrifft, habe ich einzelne Posts für bestimmte Unterthemen gemacht. Das ganze habe ich chronologisch gepostet, so dass der erste Eintrag zur Inhaltsangabe zuunterst erscheint.
Für das Thema (Menü/Navigation) habe ich mich mal dafür entschieden, ein Thema pro Text zu eröffnen, nicht pro Autor_In. Ob sich das bewährt, wird sich sicher noch zeigen...

Feministen und die lesbische Leserin

Im letzten Teil ihres Textes, in dem Lauretis unter anderem fordert, dass Frauen die "Arbeiten der männlichen Intellektuellen" kritisch lesen und neu schreiben sollen (S. 86), sowie dass neue Diskursräume geschaffen werden sollen (S. 87ff.), tauchen einige Punkte auf, bei denen ich Lauretis' Argumentation problematisch finde. So kritisiert sie beispielsweise die "jüngste Welle kritischer Schriften von Männern über den Feminismus [...] Männliche Philosophen, die schreiben wie eine Frau, männliche Kritiker, die lesen wie eine Frau [...]". Ihre Beurteilung davon: "Zum Grossteil [...] werten einige Arbeiten das feministische Projekt in der Wissenschaft per se nicht auf. Sie rechtfertigen allerdings bestimmte Positionen innerhalb des akademischen Feminismus; jene Positionen, die mit den persönlichen Interessen des Kritikers und den männlich ausgerichteten theoretischen Belangen oder beidem in Einklang stehen." (S. 83) Hier stellt sich die Frage, wer denn das Recht dazu hat, Feminist_In zu sein und wer bestimmen kann, welche Positionen förderungswürdig sind. Nur Frauen? Alle Frauen? (Ganz zu schweigen von der hier vollkommen ausgeklammerten Frage: Was ist eine Frau? Wer ein Mann?...).
Lauretis begründet ihre Bedenken (unter anderem) damit, dass, wie sie aus der Aufsatzsammlung Gender and Reading zitiert, Männer nicht bereit seien, Texte von Frauen zu lesen. Es folgt, mit Bezug auf eben diese Aufsatzsammlung, eine ausführliche Diskussion dazu, was es heisst, einen Text als Frau, bzw. als Lesbe zu lesen. Lauretis kritisiert Ansätze, die davon ausgehen, dass beispielsweise auch ein Mann einen Text 'als Lesbe' lesen kann und findet, dass sie "die [...] Annahme, dass Lesben anders als heterosexuell orientierte Frauen und Männer lesen, für richtig halte;" (S. 84) Doch wer ist diese Lesbe, die da liest? Lesen alle Lesben gleich? Welche Texte liest 'die Lesbe' auf welche Weise anders als 'der Schwule', 'die heterosexuelle Frau', 'der heterosexuelle Mann', ... ? Diese Fragen werden leider komplett ausgeblendet. Irritierend finde ich diese Annahme einer homogenen (lesbischen) Identität insbesondere deshalb, weil Lauretis selbst in der Einleitung ihres Textes sowohl die Bedeutung der Unterschiede der Frauen untereinander, als auch der Widersprüchlichkeit des Subjekts durch die Zugehörigkeit zu einer Vielzahl von 'Klassen' betont. Und auch auf Seite 87 schreibt sie von einem "Subjekt, das sich über eine Vielzahl von Differenzen in diskursiver und materieller Heterogenität [konstituiert]." Das so beschriebene widersprüchliche Subjekt steht m. E. in einem Widerspruch zu der Auffassung, dass es 'die Frau' oder 'die Lesbe' gibt, die eine bestimmte andere Lesart haben soll (und sich somit wohl dafür qualifiziert, Feministin sein zu können).
Ähnliche Kritik übt auch Engel an Lauretis, wenn sie ihr vorwirft, die Geschlechterbinarität nicht infrage gestellt zu haben: "[Lauretis geht] darauf ein, dass geschlechtliche und sexuelle Subjektivitäten sowie die soziale Organisation von Sexualität durch die Kategorien 'Rasse' und 'Ethnie' differenziert sind. Sie zieht hieraus jedoch nicht die Konsequenz, dass es eine universelle und einheitliche Kategorie 'Geschlecht' nicht geben kann [...]". (WdE, S. 59)

Perspektiven und Forderungen

Lauretis sieht "Möglichkeiten der Handlungsfähigkeit und Selbstbestimmung" darin, dass sich "die soziale Repräsentation des Geschlechts [...] auf dessen subjektive Konstruktion [auswirkt], und umgekehrt [...] die subjektive Repräsentation – oder Selbstrepräsentation – des Geschlechts dessen soziale Konstruktion [beeinflusst]" (S. 67, kursiv von DL). Leider fehlt das konkrete Beispiel, um nicht zu sagen: die "Anleitung". Zweifellos ist es aber dieser Aspekt von Lauretis' Repräsentationsbegriff, an den Engel anknüpft.

Auf Seite 77 wird eine ähnliche Frage aufgeworfen, diejenige nach der Hegemonie der Diskurse: "Wie beeinflussen oder bewirken Veränderungen im Bewusstsein Veränderungen in den dominanten Diskursen?" Können Gegendiskurse, Gegenpraxen "ihrerseits dominant oder hegemonial werden? Und wenn ja wie?" Lauretis warnt jedoch, dass eine reine Umverteilung der Macht nicht ausreiche: "Ich glaube, dass wir, um zu einer anderen Vorstellung des Geschlechts [...] zu gelangen und um den Begriff neu und anders zu fassen, als es uns der patriarchalische Vertrag diktiert, den männlich ausgerichteten Bezugsrahmen verlassen müssen, in dem Geschlecht und Sexualität durch den Diskurs der männlichen Sexualität [...] reproduziert werden." (S. 78)

Lauretis kritisiert die bisherigen Auffassungen von Sexualität (und schliesst darin auch die der "Feministinnen der ersten Stunde um die Jahrhundertwende" ein), die alle zwischen männlicher und weiblicher Sexualität unterscheiden und Sex immer als "heterosexuellen Verkehr und vor allem Penetration" verstehen. Sie fordert darum mit Lucy Bland: "Die Verdrängung der Penetration aus dem Mittelpunkt des sexuellen Geschehens bleibt eine Aufgabe, der wir uns auch heute noch zu stellen haben" (Bland 1981: 67, zitiert nach Lauretis, S. 74). Mir hat sich hier die Frage gestellt, wie sich diese Forderung zu Preciados kontrasexuellem Manifest (dessen Kopien ich leider unverzeihlicherweise nicht mitgenommen habe...) verhält. Meine These: Während Lauretis/Bland die Dezentralisierung der Penetration fordern, unternimmt Preciado eine Dezentralisierung des Phallus (als nur einer von vielen Dildos) und der Vagina, stellt aber die Penetration als zentrales Element der Sexualität nicht in Frage. Bei ihr geht es also im Gegensatz zu Lauretis/Bland weniger um die Handlung als um den Ort der Sexualität.
(Wenn man sich das alles ausreichend lange überlegt, ist für eine überzeugte Queerfeministin bald keine sexuelle Handlung nirgends mehr ohne üblen Beigeschmack möglich – wobei totale Enthaltsamkeit ja ebenfalls wieder in einer bestimmten Auffassung von Sexualität verhaftet bleibt... Auswegslos also :-) )

Kritik an Foucault

Foucault wird von Lauretis (obschon sie selbst mit ihrem Konzept der "Technologie des Geschlechts" stark auf ihn aufbaut) mehrfach kritisiert. Zunächst einmal verstehe Foucault Sexualität nicht "als geschlechtlich verfasst [...], als von entweder männlicher oder weiblicher Gestalt, sondern als ein und dasselbe für alle – und daher folglich als männlich." Sexualität werde so immer "als Attribut, Eigentum oder Eigentümlichkeit des Männlichen verstanden." (S. 73) Foucault würde damit "die Existenz des Geschlechts verneinen" und damit "die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht [warhnehmen], die durch das Geschlecht strukturiert werden, die die sexuelle Unterdrückung von Frauen konstituieren und aufrechterhalten." Nicht zuletzt bedeute "das Geschlecht zu leugnen, 'in der Ideologie' zu verbleiben, einer Ideologie, die (keineswegs zufällig, wenn auch unbeabsichtigt) ganz entschieden dem männlich verfassten Subjekt zuarbeitet." (S. 74)

An anderer Stelle bezieht sie sich auf Monique Wittig, um auf die Macht der Diskurse einzugehen. Sie schreibt dazu:
"Indem sie argumentiert, dass die 'Diskurse der Heterosexualität uns unterdrücken, indem sie uns daran hindern zu sprechen, sofern wir nicht zu ihren Bedingungen sprechen' (Wittig 1980: 105), deckt Wittig erneut die repressive Funktion der Macht auf, die die institutionell kontrollierten Wissensformen durchzieht. Eine Funktion, die in der Foucaultschen Betrachtung der Macht als produktiv und folglich als positiv aus dem Blickfeld verschwunden ist. Während es schwierig wäre zu widerlegen, dass Macht bezogen auf Wissen, Bedeutungen und Werte produktiv ist, ist es offensichtlich, dass wir zwischen den positiven und den repressiven Auswirkungen dieser Produktion trennen müssen." (S. 78f., kursiv im Original)
Damit habe ich nun Probleme. Erstens einmal denke ich, dass die Schlussfolgerung "produktiv und folglich positiv" so nicht gezogen werden kann. Nach meinem Verständnis von Macht bei Foucault ist "produktiv" nicht mit einer Wertung verknüpft. Lauretis selbst schreibt dazu zwei Seiten zuvor: "Statt Macht mit Unterdrückung gleichzusetzen betrachtet er [Foucault] sie als produktiv, da sie Bedeutung, Werte, Wissen und Praktiken hervorbringt, aber in sich selbst weder positiv noch negativ ist." (S. 76, kursiv von DL) An diesem Punkt widerspricht sie sich damit m. E.
Daran anschliessend stellt sich zweitens die Frage, inwiefern eine "repressive Funktion der Macht" mit Foucaults Machtbegriff vereinbar ist. Da bin ich selbst unsicher, da ich diesen Aspekt von Foucaults Macht nie so richtig verstanden habe. Kann Macht für Foucault repressiv sein? Falls ja: ist sie dann auch produktiv und wertfrei? Falls nein: gibt es für Foucault gar keine Repression oder nennt er sie anders, z. B. "Zwang"? Um diese Fragen zu klären müsste wohl auch genau definiert werden, was unter "repressiv" und unter "hindern" verstanden wird: Wird damit die Möglichkeit zum Widerstand ausgeschlossen? Und damit kommt auch die Frage auf, die sich mir bei Foucaults Macht- und Zwang-Unterscheidung immer wieder stellt: Was ist mit dem Preis, der mit der Möglichkeit zum Widerstand verbunden ist? Wann ist der Preis für den Widerstand so hoch, dass von Zwang, nicht mehr von Macht gesprochen werden muss?
Das dritte Problem stellt sich mir bei der Forderung, die positiven und die repressiven Auswirkungen der Produktion zu trennen. Ich wage zu bezweifeln, dass sich die unterschiedlichen Funktionen der Macht in jedem Fall so leicht voneinander trennen lassen (ich denke da beispielsweise an den Themenkomplex "Gouvernementalität und Neoliberalismus", wo sich immer wieder gezeigt hat, wie komplex, oder besser: paradox Macht gleichzeitig 'positiv' und 'negativ' (oder 'repressiv' und 'produktiv'?) wirken kann...). Schliesslich ist die Identifikation von positiven Auswirkungen auch immer mit dem Problem verbunden, 'positiv' zu bestimmen: Welcher Bezugsrahmen soll verwendet werden um zu entscheiden, ob eine Auswirkung positiv oder negativ ist?

Gender als Repräsentation und Konstruktion

Lauretis versteht gender als "Repräsentation einer Beziehung, der Dazugehörigkeit zu einer Klasse, einer Gruppe, einer Kategorie [...]". Die Beziehung oder das Verhältnis zwischen Individuum und Klasse (sie versteht das soziale Geschlecht als Klasse) sind dabei für Lauretis zentral. Diese Beziehung wird durch gender nicht nur repräsentiert, sondern gleichzeitig auch konstruiert: "[...] gender konstruiert ein Verhältnis zwischen einer Entität und anderen Entitäten, die zuvor als Klassen konstituiert wurden, als ein Dazugehörigkeitsverhältnis." (S. 61)

Wie genau das Verhältnis zwischen der Repräsentation und der Konstruktion von gender funktioniert, ist mir leider nicht ganz klar geworden. Das Ganze wird mitunter etwas undurchschaubar, wenn beispielsweise die Frage aufgeworfen wird, wie die Repräsentation konstruiert wird (S. 73) (wo Repräsentation doch gleichzeitig auch Konstruktion sein soll...). Sie gibt jedoch Beispiele für die Repräsentation von gender, so das Ankreuzen von "w" oder "m" auf Formularen oder durch den Film, den sie mehrfach als "Technologie des Geschlechts" bezeichnet. Ausserdem bezieht sie sich auf Althussers Begriff der Interpellation als den "Prozess, durch den gesellschaftliche Repräsentation akzeptiert und von dem Individuum als ihre (oder seine) Repräsentation angenommen wird, und so für dieses Individuum wirklich wird, obwohl sie doch eigentlich imaginär ist." (S. 71) Während ich nun versucht bin zu schliessen, dass dieser Prozess der Interpellation zur Beschreibung der Konstruktion von Geschlecht dienen soll, stellt Lauretis gleich im Anschluss wiederum die Frage nach der Konstruktion der Repräsentation, was mich leicht verwirrt zurück lässt...

Inhalt und Aufbau von "Technologie des Geschlechts"

In der Einleitung erläutert Lauretis zunächst ihre Auffassung des Begriffs gender, insbesondere in Bezug auf die sexuelle Differenz. Sie stellt fest, dass gender oftmals als sexuelle Differenz verstanden worden ist, sich daraus Vorstellungen wie "Frauenkultur, Mutterschaft, weibliches Schreiben, Feminität etc." abgeleitet haben, dieses Verständnis allerdings Einschränkungen (für den Feminismus) bedeutet. Die erste Einschränkung besteht gemäss Lauretis darin, dass die sexuelle(n) Differenze(n) "kritisches feministisches Denken im begrifflichen Rahmen eines universalen Geschlechtergegensatzes gefangenhält [...], der die Artikulation der Unterschiede [...] der Frauen untereinander erschwert, wenn nicht gar unmöglich macht." (S. 58) Die zweite Einschränkung sieht sie in der Tendenz, "die radikalen epistemologischen Potentiale des feministischen Denkens" einzudämmen, die darin bestehen, das Subjekt als nicht einheitlich sondern durch sein "Erleben von ethischer Zugehörigkeit, Klassenlage wie auch von sexuellen Beziehungen" vielseitig und widersprüchlich zu verstehen. Lauretis fordert darum: "Es bedarf der Auflösung und Dekonstruktion dieser Bindung, dieses Ineinanderaufgehens von sozialem Geschlecht und sexuelle(r) Differenz(en)." (S. 59)
Ihr Ansatz besteht darin, im Anschluss an Foucaults "Technologie des Sexes" eine Technologie des Geschlechts zu entwerfen, was bedeutet "dass das Geschlecht, sowohl als Repräsentation wie als Selbstrepräsentation, ebenfalls ein Produkt verschiedenster sozialer Technologien wie Kino und institutionalisierter Diskurse, Erkenntnistheorien, kritischer Praxisformen und auch von Alltagspraxis ist." (S. 59)

Anschliessend stellt sie vier Behauptungen auf, auf welche sie im restlichen Text eingehen will. Dies sind (gekürzt):
  1. Das Geschlecht, gender, ist (eine) Repräsentation.
  2. Die Repräsentation des Geschlechts ist seine Konstruktion.
  3. Die Konstruktion des Geschlechts geht heute noch ebenso geschäftig von statten wie in früheren Zeiten, und zwar auch an den Hochschulen und auch, sogar ganz besonders, im Feminismus.
  4. Paradoxerweise wird die Konstruktion des Geschlechts unter anderem von seiner Dekonstruktion in Gang gesetzt.
Ich werde im Folgenden keine weitere Inhaltszusammenfassung vornehmen, sondern (in separaten Posts) auf einige Punkte eingehen, die für meine persönliche Lektüre des Textes zentral sind. Allerdings besteht absolut kein Anspruch auf Vollständigkeit. Insbesondere mit ihrem wichtigen Konzept des space-off, der "Räume in den Randzonen des hegemonialen Diskurses" (S. 88), konnte ich mich (noch) nicht ausreichend auseinandersetzen.

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Antke Engel
Wie regiert die Sexualität? Michel Foucaults Konzept der Gouvernementaltiät im Kontext queer/feministischer Theoriebildung. In: Marianne Pieper und Encarnación Guitérrez Rodríguez (Hg.) Gouvernementalität. Ein sozialwissenschaftliches Konzept im Anschluss an Foucault. Frankfurt/New York 2003.

Teresa de Lauretis
Die Technologie des Geschlechts. (Original von 1987). In: Elvira Scheich (Hg.). Vermittelte Weiblichkeit. Feministische Wissenschafts- und Gesellschaftstheorie. 1996.

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Zuletzt aktualisiert: 30. Mai, 19:25

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